Verwischte Grenzen. Jüdische Identitäten in Zentraleuropa nach 1918
28. Internationale Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs
In Kooperation mit dem Centrum für jüdische Studien Graz (Assoz.-Prof. Dr. Gerald Lamprecht) und den Wiener Vorlesungen
4.-6. Juli 2018, Volkskundemuseum Wien
1924 unternimmt Joseph Roth eine Reise durch sein Geburtsland Galizien, das „große Schlachtfeld des großen Krieges“. Er beschreibt darin eine Gegend der kulturellen, sozialen und ethnischen Vielfalt und zeichnet ein Bild, das sich in Lemberg, als der Stadt „der verwischten Grenzen“, verdichtet. Jüdinnen und Juden sind in seinem Reisebericht ebenso allgegenwärtig wie die Folgen des Krieges.
Die Tagung widmet sich den Fragen nach den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die jüdische Bevölkerung in Zentraleuropa. Dabei geht es allerdings nicht um die Kriegsjahre sondern vielmehr um das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit. Der große Krieg brachte das Ende der multiethnischen Imperien – der Habsburger, der Romanows ebenso wie des Osmanischen Reiches – und mündete, unterstützt durch die Parole des Selbstbestimmungsrechtes der Völker von Woodrow Wilson, in den Siegeszug des homogenisierenden nationalstaatlichen Prinzips. In einer Region struktureller ethnischer und religiöser Heterogenität musste dies jedoch zwangsläufig zu Problemen und in vielen Fällen zu Gewalt führen. Der Bruch von 1918, der in Nord- und Osteuropa in weitere kriegerische Auseinandersetzungen mündete, charakterisierte sich an vielen Orten als revolutionärer Systembruch von der Monarchie zur Republik, der von einer kriegsbedingten allgemeinen sozialen und ökonomischen Krise begleitet wurde.
An all diesen Umbrüchen waren Jüdinnen und Juden als Individuen aktiv beteiligt und/oder passiv betroffen. Sie waren in hoher Zahl Opfer von Gewalt und zugleich auch Akteure revolutionären Wandels und demokratischer Umgestaltung. Im Kontext der Gebiete der ehemaligen Habsburgermonarchie wurden beispielsweise mit dem Bruch 1918 aus dem „Staatsvolk der Juden“ (Joseph Samuel Bloch) in den Nachfolgestaaten nationale oder religiöse Minderheiten, die ihre Position als solche noch zu behaupten hatten. Jüdische Gemeinden wurden mit Forderungen nach Demokratisierung ebenso konfrontiert wie mit Verschiebungen der innerjüdischen Machtstrukturen in Folge des Aufstiegs des Zionismus und einer Politisierung der Orthodoxie. Zugleich brachte der Krieg und sein Ende ein Erstarken des Antisemitismus in Wort und Tat mit sich, wovon die Jüdinnen und Juden unmittelbar betroffen waren und worauf sie unter anderem durch die Gründung von jüdischen Milizen und andere Abwehrmaßnahmen reagierten.
Die 28. Internationale Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs, die in Kooperation mit dem Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz ausgetragen wird, befasst sich mit unterschiedlichen Aspekten des Bruchs von 1918 und dessen Auswirkungen auf die jüdische Bevölkerung. Hierbei wird vor allem Zentraleuropa, verstanden als das Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie mit seinen nördlichen und östlichen Nachbarn, in den Fokus genommen.
Der Call for Paper richtet sich an Historiker/innen, Vertreter/innen der Jüdischen Studien ebenso wie Kulturwissenschafter/innen, wobei in den Proposals einzelne Aspekte nachfolgender Themen Berücksichtigung finden sollten:
- Wie gestaltet sich die politische und rechtliche Selbst- und Fremdverortung in den einzelnen Nachfolgestaaten?
- Wie werden die Fragen von Staatsbürgerschaft und Staatenlosigkeit in den unterschiedlichen Nachfolgstaaten gelöst und welche Debatten um Inklusion und Exklusion sind damit verbunden?
- Welche Auswirkungen hat der Systembruch auf die jüdischen Gemeinden? Hierbei geht es um Fragen ideologischer und identitärer Ausdifferenzierung zwischen liberalen, orthodoxen und zionistischen Gruppen ebenso wie um den Wandel in der Gemeindestruktur (z.B. Demokratisierung).
- Welche Rollen nehmen die jüdischen Gemeinden wie auch einzelne Jüdinnen und Juden in der Phase des revolutionären Umbruchs ein?
- Welche Auswirkungen hat der Bruch von 1918 in Verbindung mit der politischen und ökonomischen Krise auf das Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung?
- Welche Auswirkungen haben die Räterepubliken in Bayern und Ungarn auf die jüdische Bevölkerung und in welcher Form sind einzelne Jüdinnen und Juden daran beteiligt?
- Wie entwickelt sich der Antisemitismus und welche Reaktionen und Abwehrmaßnahmen werden getroffen?
Bei Interesse senden Sie bitte einen Abstract (max. 500 Wörter) sowie einen CV (max 300 Wörter) bis spätestens 20. Dezember 2017 an |mail: Sabine Hödl|.
Eine definitive Entscheidung wird Ihnen bis zum 20. Jänner 2018 bekanntgegeben.
Die Reise- und Aufenthaltskosten für die Teilnahme an der Sommerakademie werden von den Veranstaltern übernommen.
Konferenzsprachen: Deutsch und Englisch
Bei Rückfragen wende Sie sich bitte an: |mail: Martha Keil| oder |mail: Gerald Lamprecht |